Aufgabe 2:

Wie kann grundsätzlich die Abgrenzung der strafbefreienden Selbstanzeige von der schlichten Berichtigung nach § 153 AO erfolgen?

Das Bundesfinanzministerium hat am 23.05.2016 den finalen Anwendungserlass zu § 153 AO (IV A 3 – S 0324/15/10001) veröffentlicht. In dem Anwendungserlass werden grundsätzliche Fragestellungen zu den §§ 153, 371 AO thematisiert. Allgemein wird zunächst darauf hingewiesen, dass die allgemeine steuerliche Pflicht zur unverzüglichen Anzeige nach § 153 AO bei dem nachträglichen Erkennen eines steuerlichen Fehlers eingreift, der zumindest zur Möglichkeit einer Steuerverkürzung geführt hat.

Hinsichtlich der Abgrenzung zur Selbstanzeige wird klarstellend ausgeführt, dass sowohl § 153 AO als auch § 371 AO eine steuerlich unrichtige Erklärung voraussetzen. Im Grundfall des § 153 AO wurde der steuerliche Fehler jedoch nicht vorsätzlich begangen. § 371 AO betrifft die Berichtigung aufgrund von Steuerhinterziehung. Auch im Fall des § 153 Abs. 2 AO handelt es sich um eine rein steuerrechtliche Berichtigung, denn der spätere Wegfall der Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder Steuervergünstigung führt erst zu der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige und Berichtigung. Wenn die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 oder Abs. 2 AO vorsätzlich nicht erfüllt wird, liegt eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen vor.

Der Anwendungserlass führt weiter aus, dass die leichtfertige Herbeiführung einer Steuerverkürzung eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO darstellt, die wiederum zu einer Selbstanzeigemöglichkeit nach § 378 Abs. 3 AO führen kann. Die strengen Voraussetzungen der Selbstanzeige nach Steuerhinterziehung gelten insoweit weitgehend nicht. Der Anwendungserlass geht auf die Abgrenzung von Vorsatz zur Fahrlässigkeit ein und führt aus, dass es einer sorgfältigen Prüfung durch die Finanzbehörde bedarf, ob ein Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist.

Weiterhin ist dem Anwendungserlass zu entnehmen, dass die Einrichtung eines innerbetrieblichen Kontrollsystems, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, ggf. ein Indiz darstellen kann, das gegen das Vorliegen von Vorsatz oder Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalles befreit.

Die Anzeige nach § 153 AO muss „unverzüglich“ nach dem positiven Erkennen des steuerlichen Fehlers erfolgen. Wenn der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, unverzüglich auch alle steuerlichen Berechnungsgrundlagen mitzuteilen, weil zum Beispiel noch umfangreiche Aufarbeitungen erforderlich sind, hat das Finanzamt ihm eine angemessene Zeit zur Aufarbeitung und Berichtigung zuzugestehen.

Leider geht der Anwendungserlass nicht auf die sehr praxisrelevante Frage ein, wann eine Anzeige nach § 153 AO noch unverzüglich ist, also welcher Zeitraum dem Steuerpflichtigen zugestanden wird. Solange diese Frage nicht abschließend geklärt ist, sollte man, auch bei komplizierten Unternehmenssachverhalten, davon ausgehen, dass „unverzüglich“ maximal eine Frist von wenigen Wochen umfasst, in der Regel aber nicht mehr als zwei Wochen. Nemo-tenetur-Grundsatz und Pflicht zur Berichtigung nach § 153 AO.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass auch ein bedingt vorsätzlich handelnder Täter einer Steuerhinterziehung zur Berichtigung nach § 153 AO verpflichtet ist, wenn er nachträglich positiv erkennt, dass tatsächlich steuerliche Fehler gegeben sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. 3. 2009 – 1 StR 479/08). Hintergrund ist, dass ein bedingt vorsätzlich handelnder Täter nicht sicher weiß, dass tatsächlich Steuern verkürzt werden, sondern nur die Möglichkeit der Steuerverkürzung sieht, diese aber billigend in Kauf nimmt.

Die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist stark kritisiert worden, da durch sie Täter gezwungen werden, sich selbst zu belasten, ansonsten droht eine neue Strafbarkeit.

Das Bundesfinanzministerium versucht in dem Anwendungserlass nun, die Streitfrage dadurch zu entschärfen, dass „unverzüglich“ im Sinne des § 153 AO in den genannten Fällen auch noch die Berichtigung erfolgen soll, die nach „angemessener Zeit zur Aufbereitung einer Selbstanzeige“, die vollumfänglich schon alle Bemessungsgrundlagen der vergangenen Jahre beinhalten muss, erfolgt.

Völlig unklar bleibt jedoch, wie lange eine „angemessene Zeit“ in solchen Fallkonstellationen sein soll. Darüber hinaus ist aufgrund der mehrfachen Verschärfung der Vorschriften zur Selbstanzeige in den letzten Jahren häufig die Situation gegeben, in der aufgrund des Eingreifens eines Sperrgrundes, zum Beispiel der Ankündigung einer Betriebsprüfung, zeitweise eine Selbstanzeige nicht wirksam erstattet werden kann. Davon ausgehend, könnte man den Anwendungserlass dann so verstehen, dass die Beendigung der Betriebsprüfung abgewartet werden darf, bis eine Selbstanzeige erstattet wird. Sollte dieser Sichtweise seitens der Finanzverwaltung gefolgt werden, was wünschenswert wäre, bedürfte eine so weitreichende Folge einer eindeutigen Klarstellung, die hoffentlich zeitnah erfolgt. Gegenwärtig sorgt der Anwendungserlass jedoch leider nur noch für mehr Rechtsunsicherheit.

Abgrenzung der strafbefreienden Selbstanzeige von der schlichten Berichtigung nach § 153 AO
Lic. en Derecho Robert Terhart, LL.B.
Advocat / Abogado / AsesorFiscal
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